Home » Über Delphi » Das Produkt » Warum der Name Delphi?

Warum der Name Delphi?

von Danny Thorpe, Borland

„Delphi“ war anfangs ein Beta-Codename für ein streng geheimes Projekt bei Borland: eine visuelle Entwicklungsumgebung der nächsten Generation für Windows, die auf der Sprache Object Pascal von Borland basiert. Der Codename wurde Mitte 1993 ausgebrütet, nachdem das Entwicklerteam etwa sechs Monate lang mit gründliche Forschungen, Proof-of-Concepts und Marktanalysen verbracht hatte. Mitglieder des Pascal-Entwicklerteams hingen im Büros von R&D-Manager Gary Whizin herum und suchten einen cleveren Codenamen, den man für das neue Produkt verwenden könnte. Es war kein großes Büro, aber auch kein großes Team – etwa 10 Leute aus den Bereichen R&D, QA, Pubs und Marketing. Es wäre seltsam gewesen, nicht auch Anders Hejlsberg, Chuck Jazdzewski, Allen Bauer, Zack Urlocker, Richerd Nelson, mich selbst – Danny Thorpe – und einige andere Stammspieler in Garays Office über das eine oder andere Thema den Mund fusselig reden zu sehen.
Borland hat eine lange Tradition „ungewöhnlicher“ Codenamen, einige mit einprägsamen Solgans oder Hintergründen, die einen seltsamen Namen an den Markt- oder Produktschwerpunkt binden. Ein Codename sollte keine offensichtliche Verbindung zu einem Produkt haben, so dass es, wenn ein Lauscher den Namen in einer Unterhaltung aufschnappt, nicht zu offensichtlich ist, über welches Produkt gerade diskutiert wird. Der Unterschied zwischen einem alltäglich verfügbaren und einem großartigen Codenamen ist die prägnante geheime Aussage dahinter. Der einprägsamste war für mich der Codename für Quattro Pro 4.0: „Budda“. Warum? Es sollte die Lotus-Position übernommen werden!

Wir saßen also in Garys Büro und erwogen merkwürdige und verrückte Möglichkeiten für Codenamen. Die strategische Entscheidung, dass Datenbanktools und Internetfähigkeiten ein zentraler Punkt des neuen Pascal-Produkts sein sollten, war erst wenige Tage vorher getroffen worden, weshalb Gary Wert darauf legte, einen Codenamen zu bekommen, der auf den Datenbankschwerpunkt des neuen Produkts und sein Entwicklerteam anspielte. Der Ruck in Richtung Datenbank war keine kleine Sache – ich erinnere mich an ernste Vorbehalte, Pascal-Werkzeuge mit Datenbank-Anteilen zu „verschmutzen“, was mich fast ein Jahr kostete, es abzuschütteln. Es war ein großes Glücksspiel für Borland, aber es war sehr sorgfältig bemessen, geplant und umgesetzt. Delphi ein Datenbankprodukt zu machen, war im Nachhinein gesehen genau das, was wir brauchten, um Borlands Pascal-Tools aus der Marktnische von Visual Basic und C++ ausbrechen zu lassen und Delphi eine Nasenlänge vor herkömmliche Windows-Entwicklungswerkzeuge zu setzen.

Gary wollte auf den Codenamen „Oracle“ zurückkommen, der sich auf SQL-Verbindungsfähigkeiten zu Oracle-Servern bezog. „Oracle“ fand in der Gruppe allerdings keinen großen Anklang. Daneben, dass es offensichtliche Verwirrung gegeben hätte wegen der gleichnamigen Firma und des Server-Produkts, implizierte der Name selbst Server-Stoff, während das Produkt, an dem wir arbeiteten, (zu diesem Zeitpunkt) ein Client-Building-Tool war, eine Möglichkeit mit Oracle und anderen Servern zu kommunizieren.

Wie kommuniziert man mit einem Orakel? „Das Orakel von Delphi“ war die Wort-Assoziation, die in meinem Kopf auftauchte. Deshalb schlug ich „Delphi“ vor: Wenn du zu [einem] Orakel (Oracle) sprechen willst, gehe nach Delphi.

Der Vorschlag war kein großer Hit. Es ist ein alter Name, ein alter Platz, ein heidnischer Tempel in den Ruinen einer toten Zivilisation. Keine inspirierende Assoziation für ein neues Produkt! Wie später einige Presseartikel anmerkten, war das Orakel von Delphi geradezu berüchtigt dafür, kryptische und doppeldeutige Antworten zu geben – keine großartige Assoziation für ein Datenverwaltungstool. Das Stellen einer Frage an das Orakel war für alle kostenlos, aber die Antwort des Orakels interpretiert und erklärt (compiliert?) zu bekommen, kostete einige Drachmen (den Marketing-Jungs gefiel dieser Teil).

Vor allem jedoch hatte der Codename „Delphi“ einen klassischeren Klang als die Menge verbrauchter Wortspiele, die den Raum verschandelten. Pascal ist eine klassische Programmiersprache, deshalb fühlte es sich irgendwie passend an, ein Pascal-basiertes Entwicklungstool mit einem klassischen griechischen Bild zu verbinden. Und wenn man den griechischen Mythen glaubt, ist der Tempel von Delphi eines der inzestlosesten, mordfreiesten und untragischsten Symbole der alten Griechen, das man finden kann.

Wir gingen noch eine Menge Codenamen während der Entwicklung der Version 1.0 durch und prägten für jede Presse- oder Firmeninstruktion des Beta-Produkts einen anderen Codenamen. Dieser Aufwand sollte die Gerüchte eingrenzen und es uns erlauben, den Ursprung eines Lecks zu finden. Das Letzte, was wir wollten, war, dass Sie-wissen-schon-wer [gemeint ist Microsoft; d. Übers.] Wind von der Sache bekam, die wir planten. Unter all diesen zur Verfügung stehenden Codenamen, klebte der Codename Delphi an uns. Gegen Ende des Entwicklungszykluses begann das Marketing und verwendete den Codenamen Delphi in allen Vorabdrucken und Firmenberichten sowie als Codenamen für die Final Beta Releases. Die Gerüchteküche kochte, und die Tools-Hersteller waren beschäftigt, über das geheime Projekt bei Borland mit dem Codenamen „Delphi“ zu sprechen. J. D. Hildebrand schrieb ein ganzes Editorial in Windows Tech Journal über die „Delphi-begeisterten“ Monate, bevor das Produkt veröffentlicht wurde. (Zitat: „Ich kann Ihnen nicht sagen, was es ist. Aber das kann ich Ihnen sagen: Delphi wird Ihr Leben verändern.“)

Als es an der Zeit war, einen Veröffentlichungsproduktnamen auszuwählen, waren die Vorschläge weniger einfallsreich… Der „funktionelle“ Name, ein Name, der beschreibt, was das Produkt zurzeit tut und deshalb einfacher zu vermarkten und zu verkaufen ist, wäre „AppBuilder“ gewesen. Dieser Name taucht auch heute noch in einigen IDE-internen Klassennamen auf, wie z. B. dem Klassennamen des IDE-Hauptfensters. (R&D hatte dem Druck des funktionellen Namens nachgegeben und sich daran gemacht ihn frühzeitig zu implementieren.) Aber AppBuilder regte nicht die Vorstellungskraft der Leute an. Er war international nicht gut einzusetzen – funktionelle Namen sind nur in ihrer Ursprungssprache funktionell.

Dankenswerterweise veröffentlichte Novell einige Monate vor dem Termin für Delphi ihr eigenes Produkt „Visual AppBuilder“. Es kam viel Freude in den Räumen von Borland auf, vor allem weil sich die „AppBuilder“-Debatte damit erledigt hatte. Nachdem der funktionelle Name nun nicht mehr im Rennen war, kam von allen Seiten der Vorschlag, den Codenamen Delphi als Produktnamen zu verwenden.

Delphi war noch nicht heimatlos. Der Marketingleiter hatte berechtigte Bedenken wegen des zusätzlichen Aufwands, der benötigt würde, um eine Namenswiedererkennung auf dem Markt für einen „symbolischen“ (Gegenteil von „funktionell“) Produktnamen aufzubauen, weshalb er um eine Abstimmung des Entwicklerteams bat. Es gab nur eine Gegenstimme (erraten Sie, von wem?). Sehr zu unserem Ärger kam jemand zu dem Schluss, dass die Sicht des Entwicklerteams keine korrekte Repräsentation des Marktes darstelle (ich hörte die Worte „sample error“) und drängte auf ein Umfrage unter den Beta-Testern. Wenn diese Abstimmung nicht das Ergebnis brachte, das er wollte, würde er die Umfrage erweitern auf Borlands internationale Tochterfirmen, Presse, Marktanalysten, Börsenanalysten, Firmenabteilungen, Softwarehändler und wahrscheinlich auch ein paar K-Mart-Einkäufer. Es wurde etwas komödienhaft: Je mehr Leute versuchten, „Delphi“ als Produktnamen fallenzulassen, desto mehr gewann er an Unterstützung.

„Delphi“ hat einen klassischen Klang. Es hat eine gleichbleibende Bedeutung in allen Sprachen weltweit. Es hat keine unterschwellige vulgäre Slang-Bedeutung in anderen Sprachen (soweit ich weiß). Das Wichtigste jedoch war, dass die Marketingleute es großartig gemacht haben, einen Marktanteil und eine Begeisterung um den Namen „Delphi“ aufzubauen. Der Markt war vorbereitet und heißhungrig auf dieses Ding mit dem Namen „Delphi“.
Und so bekam Delphi seinen Namen.

Danny Thorpe, Chief Scientist, Borland Software Corp.
Copyright (c) 1999 by Danny Thorpe
Übersetzung: Martin Strohal; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Danny Thorpe und David Intersimone